Auch unter deutschen Ärzten ist man sich des Verbots von Bluttransfusionen unter Zeugen Jehovas bewusst (auch wenn die WTG den begriff "Verbot" in diesem Zusammenhang nicht mehr in den Mund nimmt). Ein Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt vom Januar 2002 nennt interessante Zusammenhänge.

Die Zeugen Jehovas lehnten Bluttransfusionen bisher auch bei vitaler Indikation ab. Dagegen hat sich in den eigenen Reihen Widerstand formiert.

Die weltweite Organisation der Zeugen Jehovas gruppiert sich um die amerikanische Watch Tower Society. Diese vertreibt und übersetzt neben dem Zentralorgan „Wachtturm“ auch die eigene Bibelfassung und andere religiöse Schriften. Feiertage und Sakramente werden ebenso wie weltliches politisches Engagement oder der Militärdienst als „unbiblisch“ abgelehnt.

Die Zeugen Jehovas (ZJ) praktizieren die Erwachsenentaufe, erst diese begründet die Zugehörigkeit zu den ZJ. Allerdings richtet sich das Kriterium des Erwachsenseins nicht nach der gesetzlichen Volljährigkeitsgrenze, sondern nach der Fähigkeit, bestimmte Glaubenssätze zu reproduzieren. Entsprechend werden in vielen Fällen auch Minderjährige bis hinunter zum Grundschulalter getauft und unterliegen dann den religiösen Geboten.

Das Gemeindeleben ist bis in das Private hinein organisiert und in den Dienst von Bibelstunden und der Weiterverbreitung des Glaubens gestellt; die Eheschließung erfolgt vorzugsweise im Kreis der ZJ. In den meisten größeren Städten Deutschlands bildet ein so genannter Königreichssaal das Zentrum des religiösen Lebens, hier finden auch die zeitlebens obligaten Bibel- und Lesestunden unter Anleitung der Gemeindeältesten statt. In Deutschland haben die ZJ derzeit nach eigenen Angaben etwa 160 000 Mitglieder, in den USA circa eine Million.

Gewissensentscheidung

Die Durchführung einer Organtransplantation ist nach früheren Auseinandersetzungen nunmehr der Gewissensentscheidung des einzelnen Zeugen Jehovas überlassen, da aus der Bibel der ZJ hierzu keine klare Ablehnung herauszulesen sei (1). Es lohnt sich in jedem Fall, einem Zeugen Jehovas, der die Transplantation aus Glaubensgründen ablehnt, diese Veränderung der Lehrmeinung mitzuteilen und auf die Veröffentlichungen im „Wachtturm“ hinzuweisen.

Falls sich ein Zeuge Jehovas aufgrund seiner persönlichen Glaubensauffassung und nicht wegen eines Irrtums bezüglich der offiziellen Lehrmeinung gegen eine Transplantation entscheidet – dies kann auch eine Knochenmarkübertragung etwa zur Leukämiebehandlung, nicht nur die Übertragung eines „soliden“ Organs sein –, muss dies selbstverständlich respektiert werden.

Bluttransfusion

Bei der Ablehnung der Bluttransfusion stützt sich die zurzeit herrschende Lehre der ZJ auf Bibelzitate: „Nur Fleisch mit seiner Seele – seinem Blut – sollt Ihr nicht essen“ (1 Mose 9: 3, 4); „Enthaltet Euch von Hurerei und von Erwürgtem und von Blut“ (Apostelgeschichte 15: 19–21). Die i.v.-Gabe von Blutprodukten wird in einer begrifflichen Analogie zur „intravenösen Ernährung“ als Äquivalent des „Essens“ angesehen. „Ihr dürft von keinem Geschöpf das Blut genießen, denn das Leben eines jeden Geschöpfes ist in seinem Blut. Jeder, der es genießt, soll ausgetilgt werden.“ „Wer das Leben als Gabe des Schöpfers respektiert, versucht nicht, es durch die Aufnahme von Blut zu erhalten.“ (2)

Darüber hinaus bestehen auch Bedenken gegen die Transfusion autologen Blutes etwa nach einer präoperativen Spende: Blut, das einmal den Körper verlassen hat, muss nach der Lehre der ZJ vernichtet werden. Geräte zur extrakorporalen Zirkulation sind nur dann akzeptabel, wenn stets ein geschlossener Kreislauf gewährleistet ist und keine „fremden“ Blutbestandteile zugeführt werden.

Wer gegen diese Auffassung verstößt, indem er entsprechende medizinische Maßnahmen an sich selbst vornehmen lässt, gilt als „vom Glauben abgefallen“ und wird mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft bestraft. Gleichzeitig verliert er nach der Auffassung der ZJ die Möglichkeit, als einer der „144 000 Gerechten“ nach dem Jüngsten Tag in das Paradies einzuziehen.

Der Ausschluss aus der Gemeinde der ZJ kommt angesichts der engen Verflechtung privater und religiöser Bezüge häufig dem sozialen Tod gleich. Ein ausgeschlossener Zeuge Jehovas wird zu einer Unperson, selbst alltäglicher Gesprächskontakt mit ihm ist den Gläubigen untersagt. Seine Angehörigen werden über den Verstoß informiert; ein weiterer Kontakt mit ihm wird als „absolute Gefährdung des Seelenheils“ angesehen. Den Ehepartnern wird von der Gemeindeleitung, den „Ältesten“, nahe gelegt, sich zu trennen. Die Eheschließung mit dem vom Glauben Abgefallenen gilt als null und nichtig. In Gegenden mit einem hohen Organisationsgrad, vor allem im angloamerikanischen Raum, bilden die ZJ so genannte Hospital Visitation oder Hospital Liaison Committees, die kranke ZJ in Krankenhäusern besuchen, sie gegebenenfalls gegen ärztliche Ratschläge mobilisieren und mit „24-Stunden-Sitzwachen“ darauf achten, dass ihnen keine Transfusionen verabreicht werden. In Deutschland nennt sich diese Organisation „Krankenhaus-Verbindungskomitee“.

Zeugen Jehovas, die in Heilberufen arbeiten, sind entgegen der Schweigepflicht gehalten, Patienten, die gegen die Glaubenssätze verstoßen, der Gemeindeleitung zu melden. Manche Autoren sprechen von einer „systematischen Verletzung der Vertraulichkeit im Gesundheitswesen“ (11). Deutlich gemacht werden sollte, dass es sich hierbei für das gesamte Klinikpersonal um eine Straftat nach § 203 StGB (Verletzung der Schweigepflicht) handelt.

Verbindliche Patientenverfügungen

Erwachsene ZJ tragen in allen Ländern der Welt Patientenverfügungen bei sich, in denen sie, bestätigt von zwei Zeugen, ihre Ablehnung von Bluttransfusionen dokumentieren. Je nach rechtlicher Situation enthalten diese Verfügungen auch Klauseln, in denen bestätigt wird, dass ein dadurch verursachtes erhöhtes Behandlungsrisiko akzeptiert wird, und die die behandelnden Ärzte und Krankenhäuser von der Haftung freistellen.

Diese Patientenverfügungen sind nach deutschem Recht für den Behandler immer dann verbindlich, wenn der Patient – etwa wegen Bewusstlosigkeit – selbst keine Willenserklärung abgeben kann. Nur dann, wenn gegenteilige Erkenntnisse über den mutmaßlichen Patientenwillen vorliegen, kann von den Anweisungen der Verfügung abgewichen werden. Solche Erkenntnisse könnten zum Beispiel Äußerungen eines Ehepartners, der Patient habe gerade die ZJ verlassen und nur vergessen, die Patientenverfügung aus der Brieftasche zu nehmen, darstellen.

Die Tatsache, dass die Ablehnung einer Transfusion aus medizinischer Sicht „unvernünftig“ oder gar lebensgefährdend ist, spielt für ihre rechtliche Verbindlichkeit keine Rolle (3, 4, 12). In der Vergangenheit verstießen deutsche Krankenhäuser in der begreiflichen Gewissensnot der behandelnden Ärzte dennoch in unterschiedlicher Weise gegen die Festlegungen von ZJ: Dokumentiert ist etwa die Praxis, während einer Operation auch gegen den erklärten Willen des Patienten Blut zu transfundieren und ihn darüber nicht in Kenntnis zu setzen oder gar bei wachen Patienten einer laufenden Infusion ein Barbiturat zuzusetzen; „der Patient schläft ein und merkt nichts von der Transfusion“ (9). Angesichts der umfassenden Aufklärungs- und Dokumentationspflichten ist ein solches Verhalten weder zu rechtfertigen noch unter heutigen Klinikbedingungen praktisch durchführbar.

Auch Minderjährige können nach den Kriterien der ZJ in die Gemeinschaft aufgenommen werden und tragen dann, wie Volljährige, die entsprechenden Patientenverfügungen bei sich. Ob diese Verfügungen rechtlich tragen, ist wie in allen Fällen der Willenserklärungen Minderjähriger nach dem Maß der von der Rechtsprechung etablierten „natürlichen Einsichtsfähigkeit“ zu bewerten: Immer dann, wenn ein Minderjähriger nach Auffassungsgabe, Beurteilungsvermögen und Reifeentwicklung in der Lage ist, eine ärztliche Aufklärung entgegenzunehmen, zu verstehen und die Konsequenzen seiner Entscheidung (die auch eine ablehnende sein kann!) zu erfassen, ist er grundsätzlich in medizinischen Fragen geschäftsfähig (3, 12).

In einem solchen Fall, der die Mehrzahl der Jugendlichen im 17. und 18. Lebensjahr umfasst, ist die Situation der eines Erwachsenen vergleichbar. Das heißt, dass sowohl die mündliche Ablehnung der Transfusion wie eine schriftliche Vorsorgevollmacht zu respektieren sind.

Sorgerecht bei Minderjährigen

Etwas anderes gilt, wenn ein bewusstloser jugendlicher ZJ mit einer Vorsorgevollmacht eingeliefert wird, die er noch als Kind oder junger Jugendlicher unmittelbar nach der Taufe durch die ZJ unterzeichnet hat: Die Willenserklärung eines 12-Jährigen kann sicher zur Frage von Leben und Tod keine durchgreifende Wirkung haben. Hier ist, wenn keine weiteren Informationen vorliegen, vom so genannten mutmaßlichen Willen auf Überleben auszugehen.

Grundsätzlich haben Eltern im Rahmen ihres Sorgerechts bei denjenigen minderjährigen Patienten, die noch nicht natürlich einsichtsfähig sind, die Entscheidungsbefugnis über medizinische Eingriffe. Dies schließt gleichzeitig die Ablehnung ärztlich empfohlener Maßnahmen ein. Elterliche Entscheidungen sind allerdings dann vom Arzt nicht zu akzeptieren, wenn von ihnen eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls, die nicht erst bei Lebensgefahr vorliegt, ausgeht.

Die Ablehnung einer Bluttransfusion beispielsweise für ein transfusionsbedürftiges Kind nach einem Verkehrsunfall oder nach einer Chemotherapie wäre eine solche Kindeswohlgefährdung. In einem solchen Fall muss der behandelnde Arzt – falls noch Zeit für eine solche Maßnahme bleibt – das zuständige Jugendamt ansprechen; dieses kann beim Familiengericht die Übernahme des Sorgerechts für die Heilbehandlung beantragen und dann anstelle der Eltern rechtswirksam der Transfusion zustimmen. Das Sorgerecht fällt im Anschluss an die durchgeführte Behandlung an die Eltern zurück, weil die Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Gemeinschaft an sich keine Auswirkungen auf die generelle Eignung zur Erziehung hat.

Die ZJ lehnten ursprünglich jede Art von Bluttransfusion ab und unterschieden nicht zwischen Vollblut und Blutbestandteilen, während Volumenersatzflüssigkeiten wie auch neuerdings der Einsatz von Erythropoietin toleriert wurden.

Durch die immer differenzierteren Möglichkeiten der Behandlung mit einzelnen Blutfraktionen, aber sicher auch auf Druck erkrankter und behandlungsbedürftiger ZJ ist die Watch Tower Society als religiöses Leitungsorgan mittlerweile zu einer modifizierten Position gekommen: Das „Gesamt“-Blut wird nun nach „primären“ und „sekundären“ Bestandteilen aufgeteilt; eine Transfusion mit einzelnen zellfreien Fraktionen wie etwa Gerinnungsfaktoren ist dem einzelnen Zeugen Jehovas erlaubt.

Allerdings besteht eine weitgehende Unklarheit über die (nicht naturwissenschaftlich ableitbare) unterschiedliche Bewertung der Blutbestandteile durch die „Ältesten“; es existieren unterschiedliche Listen „erlaubter“ und „unzulässiger“ Blutfraktionen. Die meisten Gemeindeältesten, die auch die Krankenhaus-Verbindungskomitees benennen, lehnen weiterhin jede Form der Transfusion ab.

Kritik aus den Reihen der Zeugen Jehovas

Aufgrund der trotz aller Bemühungen vielfachen Todesfälle unter den ZJ hat sich mittlerweile innerhalb der Glaubensgemeinschaft die Association of Jehova’s Witnesses for Reform on Blood (AJWRB) gegründet. Diese setzt sich kritisch mit den Positionen der Watch Tower Society auseinander. Ihre Vertreter nehmen unter Pseudonym auch in medizinischen Fachzeitschriften Stellung (6). Im Internet dokumentieren die AJWRB umfassend die innergemeinschaftlichen Auseinandersetzungen und jeweiligen Positionsveränderungen der Watch Tower Society, die der Basis der ZJ oft nicht bekannt sind. Mittlerweile existieren in den meisten Ländern mit größeren ZJ-Gemeinden ähnliche Initiativen, in Deutschland nennt sich die entsprechende Gruppierung „Vereinigung der Zeugen Jehovas für eine Reform in der Blutfrage“.

Jedem erwachsenen transfusionsbedürftigen ZJ sollte, wenn die Behandlungsnotwendigkeiten und Zeitabläufe dies zulassen, der Zugang zu den Stellungnahmen der AJWRB beziehungsweise ihrer deutschen Sektion ermöglicht werden. Da ihre Informationsmaterialien im Internet verfügbar sind, sollten Krankenhäuser mit einer großen Zahl von ZJ in ihrem Einzugsbereich diese vorrätig halten.

Um die Diskussion kompetent und mit dem notwendigen Hintergrundwissen zu führen, sollte sich ein ärztlicher Mitarbeiter mit der Materie umfassend auseinander gesetzt haben und als Ansprechpartner für diese Fälle zur Verfügung stehen. Gegebenenfalls können auch über die Internetverbindungen der AJWRB Kontakte hergestellt werden.

Das Bewusstsein, mit einer „abweichenden“ Entscheidung nicht allein innerhalb der Glaubensgemeinschaft zu stehen, und das Wissen, dass es auch innerhalb des religiösen Bezugssystems gute Gründe gegen die „offizielle“ Blutpolitik gibt, können dem Einzelnen die Zustimmung zu einer lebenserhaltenden Transfusion entscheidend erleichtern und in der existenziellen Gewissensnot, in der sich gerade Eltern transfusionbedürftiger Kinder befinden, helfen.

Ein Zeuge Jehovas sollte in jedem Falle die Möglichkeit haben, „vertraulich“ eine Transfusion zu empfangen, ohne dass seine Angehörigen hiervon erfahren können. Innerhalb der ZJ kommt die Denunziation von religiösen „Vergehen“ gegenüber der Kirchenleitung auch im Familienkreis nicht selten vor. Hierzu ist eine entsprechende Information und strikte Verschwiegenheit aller Klinikmitarbeiter erforderlich (8, 11).

Selbstbestimmungsrecht

Wenn sich ein Zeuge Jehovas trotzdem gegen eine Transfusion entscheidet, ist dies zu respektieren, auch wenn dies mit einem im Einzelfall dramatisch erhöhten Behandlungsrisiko einhergeht. Bei jüngeren Jugendlichen und Kindern ist der Weg über die Übernahme des Sorgerechts durch das Jugendamt unvermeidlich, falls die Eltern auf der Ablehnung einer lebensnotwendigen Transfusion beharren. Bei erheblicher unmittelbarer Gefahr ist allerdings ein direktes Eingreifen nötig.

Es kann nicht ärztliche Aufgabe sein, Menschen besonderer Glaubensrichtungen von ihrer religiösen Überzeugung abzubringen, auch wenn sich aus dem Glauben aus säkular-naturwissenschaftlicher Sicht absurde oder sogar lebensbedrohliche Konsequenzen ergeben. Immer dann, wenn Alternativen zur Bluttransfusion bestehen, mögen sie auch mit einer gewissen Risikoerhöhung einhergehen, sollten sie genutzt werden. Das kann im Einzelfall bis zur Verabreichung bestimmter Blutfraktionen zusätzlich zur Volumensubstitution gehen, wenn dies für den einzelnen Gläubigen tolerabel ist.

Ein psychisch gesunder und bewusstseinsklarer Erwachsener behält aber stets das alleinige Dispositionsrecht über seine Gesundheit; religiöse Überzeugungen stellen, wenn sie nicht Symptom einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung sind, auch keinen Ansatzpunkt für Maßnahmen nach dem Unterbringungs- oder Betreuungsrecht dar. Ebenso gelten bei klarem Bewusstsein getroffene Patientenverfügungen fort.

„Wir mögen fest davon überzeugt sein, dass dieser Mann einen Fehler beging“, so ein amerikanischer Chirurg in der New York Times über einen ZJ, der sich bei klarem Bewusstsein trotz lebensbedrohlicher Blutungen gegen eine Transfusion entschied. „Aber Jehovas Zeugen sind der Überzeugung, dass eine Transfusion möglicherweise zu ewiger Verdammnis führt. In der Medizin fällt es uns nicht schwer, das Risiko gegen den Nutzen abzuwägen; stellt man jedoch ewige Verdammnis dem Weiterleben auf der Erde gegenüber, hat die Beurteilung aus einem anderen Gesichtswinkel zu erfolgen.“

Die Ergreifung juristischer Maßnahmen, etwa die Entziehung des Sorgerechts, kann auch hier nur eine ultima ratio sein: Schließlich kehrt der Patient nach der Entlassung in seine frühere persönliche Umgebung zurück. Wenn er durch Transfusionen in einer Weise behandelt wurde, die den Glaubenssätzen der ZJ widerspricht, muss er mit den harschen und einschneidenden Sanktionen seiner Glaubensbrüder rechnen. Kinder, die aus einer vorübergehenden Übernahme des Sorgerechts durch das Jugendamt nach einer Transfusion in die Familie zurückkehren, laufen darüber hinaus Gefahr, von den eigenen Eltern als „verlorene Seelen“ abgelehnt zu werden. Es ist daher sinnvoll, in Regionen mit einer großen ZJ-Gemeinde einerseits Klinikmitarbeiter in die Problematik einzuführen, andererseits durchaus auch die kontroverse Diskussion gerade mit Eltern transfusionspflichtiger Kinder zu suchen. Ziel ist es, mit Hinweis auf die inneren Widersprüche der ZJ-Transfusionspolitik und auf die zunehmenden Reformbestrebungen innerhalb der Glaubensgemeinschaft, in den Eltern die Bereitschaft zu wecken, ihren absoluten Standpunkt zu überdenken. Nur so kann für das einzelne Kind eine Reintegration in die Familie gelingen. Selbst wenn dann möglicherweise die gesamte Familie Ziel der religiösen Sanktionen wird, ist sie eher gemeinsam in der Lage, eine neue soziale Existenz außerhalb der ZJ zu definieren.

Wo immer möglich, sollte der Kontakt mit Mitgliedern der Reformbewegung innerhalb der ZJ gebahnt werden, um die Isolation der Betroffenen zu mildern. Klinikleitungen und Krankenhausträger müssen darüber hinaus bei allem Respekt vor der religiösen Überzeugung Einzelner gegen Schweigepflichtverstöße von Mitarbeitern, die den ZJ angehören, und gegen die Aktivitäten der „Krankenhaus-Verbindungskomitees“ der ZJ unnachgiebig vorgehen. Nur so können einzelne Patienten aus den Reihen der ZJ, die für sich oder ihre Angehörigen den Rat zu einer Transfusion befolgt haben und sich nun auf die Verschwiegenheit des Krankenhauses verlassen, geschützt werden.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 3 vom 18.1.2002, Seite A-102, Autor: Dr. med. Hanns Rüdiger Röttgers, M.A.