BRIEF DES AUTORS AN MILTON HENSCHEL

11. August 1995

Milton G. Henschel, President

Watch Tower Bible & Tract Society

25 Columbia Heights, Brooklyn, New York, U.S.A. 11201

OFFENER BRIEF

Sehr geehrter Mr. Henschel:

Gestern erhielt ich ein Exemplar der Zeitschrift Erwachet! vom 22. August mit den Artikeln über "Der Holocaust - Wer erhob seine Stimme?" Als ich die Artikel in dieser Erwachet!-Ausgabe las, war ich durch und durch schockiert und angewidert.

Die Wachtturm-Gesellschaft versucht seit langem eine Verheimlichung der unehrlichsten Art. Ihre Organisation tadelt zwar mit Recht andere Religionsgemeinschaften wegen ihrer Kompromisse und ihrer Unterstützung des Nationalsozialismus, doch sie versucht den Anspruch zu erheben, Jehovas Zeugen, und nur sie, hätten sich niemals eines solchen Kompromisses schuldig gemacht. Doch die Geschichte berichtet uns etwas anderes. Die "Erklärung", die von der Wachtturm-Gesellschaft auf dem Berliner Kongreß der Zeugen Jehovas im Juni 1933 veröffentlicht wurde, ist an sich schon ein eindeutiger Beweis, daß der Präsident der Gesellschaft, Richter J.F. Rutherford, zusammen mit N.H. Knorr, Antisemitismus sowie Feindschaft gegenüber Großbritannien und den Vereinigten Staaten und dem Völkerbund bekundete. Überdies geht aus der "Erklärung" eindeutig hervor, daß Jehovas Zeugen die Ziele des Dritten Reichs unterstützten.

Neben der "Erklärung" gibt es noch den Brief der Gesellschaft an Hitler als Beleg, der am 25. Juni 1933 oder kurz darauf abgeschickt wurde, und die vor ein paar Jahren in Ansprachen in ganz Deutschland in der Öffentlichkeit getroffenen Aussagen über den Berliner Kongreß von Konrad Franke. Dies alles habe ich in meinem Buch Apocalypse Delayed (1985) beschrieben - ich weiß aus Gerichtsakten und Insiderberichten, daß das Buch in der Wachtturm-Zentrale gelesen wurde - und in der Ausgabe vom Frühjahr 1990 der Zeitschrift The Christian Quest. Es kann deshalb unmöglich sein, daß die Verantwortlichen in Ihrer Organisation die Fakten nicht kennen. Erwachet! vom 22. August ist daher vom historischen Standpunkt aus nicht weniger als eine Scheußlichkeit.

Ich bin mir des wenig überzeugenden Versuches im Jahrbuch 1974 der Zeugen Jehovas bewußt, Richter Rutherford und die Wachtturm-Gesellschaft in Brooklyn durch die Behauptung von Schuld freizusprechen, der deutsche Zweigaufseher Paul Balzereit habe die Erklärung" abgeschwächt". Doch die Erklärung" wurde sowohl in Deutsch wie in Englisch im Jahrbuch 1934 der Zeugen Jehovas als offizielle Aussage der Wachtturm-Gesellschaft veröffentlicht. Man kann daher unmöglich glauben, sie sei nicht von Rutherford und seinem Nachfolger als Präsident der Gesellschaft, N.H. Knorr, gutgeheißen worden. Damit versuchte die damalige Führung der Zeugen Jehovas etwas zu tun, was im Grunde genommen geistige Hurerei mit dem Dritten Reich war - nach der eigenen Lehre der Gesellschaft wie die beiden Schwestern Ohola und Oholiba aus Hesekiel 23 zu handeln.

Auch wenn ich keine Antwort von Ihnen erwarte - eigentlich nicht einmal eine solche wünsche -, übersende ich Ihnen das folgende Material, damit sichergestellt ist, daß Sie persönlich die Fakten kennen:

(1) Eine Fotokopie des Originals der Erklärung";

(2) Eine Fotokopie der Erklärung", wie sie in der deutschen Ausgabe des Jahrbuchs 1934 der Zeugen Jehovas erschien;

(3) Eine Fotokopie der Erklärung", wie sie in der englischen Ausgabe des Jahrbuchs 1934 der Zeugen Jehovas erschien;

(4) Eine Fotokopie des Briefes an Hitler zusammen mit einer englischen Übersetzung;

(5) Ein Exemplar der Ausgabe Frühjahr 1990 von The Christian Quest.

Ich weiß sehr wohl, daß die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas, der Sie als Vorsitzender angehören, eine Kampagne der Großen Lügen" durchführt, um (1) Jehovas Zeugen als Gottes treuen und verständigen Sklaven auf der Erde erscheinen zu lassen und (2) andere Religionen zu diskreditieren. Als ehemaliger Zeuge Jehovas und Historiker von Beruf - und als ein Christ, der glaubt, Gott habe keine Lügen nötig - sehe ich mich gezwungen, die Fakten in der Öffentlichkeit darzulegen. Daher sende ich Exemplare dieses Briefs und die eben angeführte Dokumentation sowohl an religiöse als auch weltliche Presseorgane in den ganzen Vereinigten Staaten und in Kanada. Natürlich werde ich das Material auch Personen in anderen Ländern zugänglich machen, so daß es wo immer möglich bekannt wird.

Abschließend Mr. Henschel, möchte ich die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas, die Verantwortung vor Gott und den Menschen trägt, bitten, mit der Wahrheit herauszukommen und die Fakten zuzugeben. Heuchelei und Geschichtsklitterung sind schwere Sünden. Ich bin mir sicher, daß Sie das wissen.

Hochachtungsvoll

M. James Penton, PhD